18/02/2025 0 Kommentare
Steine der Erinnerung
Steine der Erinnerung
# Gott & die Welt

Steine der Erinnerung
Sie haben unter uns gelebt, im Zentrum der Stadt – aber am Rande der Gesellschaft.
Mit diesem Zitat eröffnete der Korneuburger Historiker Mag. Klaus Köhler die vorläufige Abschlussveranstaltung im November 2024.
Es war schon ein ganz besonderes Projekt, das zwischen 2021 und 2024 in unserer Stadt umgesetzt wurde. Vizebürgermeister Martin Falb, der entscheidende Impulse dafür gegeben hatte, ist überzeugt, dass es ein wichtiger und wertvoller Beitrag ist, auch diesen Teil der Geschichte unserer Stadt sichtbar zu machen.
Aber der Reihe nach:
Die Stadtgemeinde Stockerau war sich schon in der Vergangenheit ihrer Verantwortung und auch ihrer Verpflichtung für ein würdiges Gedenken an ihre jüdischen Einwohner, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Suizid getrieben wurden, zu sorgen sehr bewusst. So gilt der Jüdische Friedhof unserer Stadt als Musterbeispiel angemessener Erinnerung. Das hat die Jüdische Kultusgemeinde Wien in einem besonderen Projekt gewürdigt und 2018 alle Grabsteine auf dem jüdischen Friedhof Stockerau sanieren lassen. Damit waren die Gemeinden Stockerau und Deutschkreuz im Burgenland die ersten Gemeinden, auf deren Friedhöfen eine solche Sanierung durchgeführt wurde.
Auch war Stockerau die erste Stadt Österreichs – nach Wien – die am 16. September 2004 im Gemeinderat einstimmig den Beitritt zum Washingtoner Abkommen beschlossen hat. Dieses Abkommen wurde am 17. Jänner 2001 von Vertreterinnen und Vertretern der Österreichischen Bundesregierung und der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika sowie von NS-Opfern unterzeichnet und regelt Fragen der Entschädigung und Restitution für Opfer des Nationalsozialismus. Es kam übrigens unter wesentlicher Mitwirkung zweier Stockerauer Persönlichkeiten zustande: Dr. Ernst Sucharipa, damals Sonderbotschafter für Restitutionsfragen und Dr. Herbert Pichler, der als Vertreter der österreichischen Wirtschaft an den Restitutionsverhandlungen mit der US Regierung teilnahm.
Heute gelten die vereinbarten Maßnahmen im Wesentlichen als umgesetzt. Der Fonds hält jedoch fest, dass die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit als Herausforderung bestehen bleibt.
Heuer jährt sich das Ende des Zweiten Weltkriegs zum 80. Mal. In diesen 80 Jahren ist eine Änderung im Selbstverständnis der Rolle vieler Staaten und Organisationen und auch eine deutliche Weiterentwicklung der Erinnerungskultur zu beobachten. Neben dem breiten Konsens für das „Niemals vergessen“ werden zunehmend auch die Schicksale von Einzelpersonen beleuchtet, um so die Schrecken und das Unrecht jener Zeit noch deutlicher und verständlicher zumachen.
Stolpersteine, Gedenksteine, Erinnerungssteine - unter verschiedenen Bezeichnungen wurden in vielen Städten im In- und Ausland die ehemaligen Wohnorte jüdischer Bürgerinnen und Bürger mit kleinen Gedenksteinen oder –Schildchen gekennzeichnet. So haben in Österreich beispielsweise Wien, Salzburg, Graz, Wiener Neustadt, Hallein, Linz und andere Städte solche Projekte realisiert.
Wie schon eingangs festgestellt, war sich Stockerau seiner Verantwortung in diesem Bereich immer bewusst. Es gab breiten Konsens, dass das unfassbare Unrecht, das in den Jahren 1938 bis 1945 auch auf dem Boden des heutigen Österreich geschehen ist, nicht in Vergessenheit geraten darf. So entstand die Idee, die Spuren des verschwundenen jüdischen Lebens in unserer Stadt in einem weiteren Schritt noch deutlicher sichtbar zu machen.
Mit Stichtag 1. März 1938 gab es in Stockerau – folgt man den Forschungen des Korneuburgers Klaus Köhler - 81 jüdische Bewohnerinnen und Bewohner.
Eine Arbeitsgruppe wurde unter Leitung von Dr. Maria-Andrea Riedler, damals noch Stadtamtsdirektorin in Stockerau, eingerichtet um ein geeignetes Konzept für Stockerau zu erarbeiten. In dieser Arbeitsgruppe arbeiteten sowohl Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft als auch aller politischen Fraktionen, die damals im Gemeinderat vertreten waren, mit. Die Finanzierung des Projekts erfolgte mithilfe von Sponsoren, Förderungen und durch Leistungen der Gemeinde. Den Sponsoren gebührt ganz besonderer Dank. Ohne sie wäre das Projekt nicht umzusetzen gewesen!

Das in der Gruppe erarbeitete Konzept wurde am 18. Februar 2021 im Gemeinderat einstimmig beschlossen. Am 15. Mai 2022 konnten die ersten fünf verlegten Stationen der Öffentlichkeit präsentiert werden. An 18 Orten in Stockerau wurden seither quadratische Messingplatten vor dem letzten frei gewählten Wohnort jener 38 jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger, die während der Zeit des Nationalsozialismus Stockerau unfreiwillig verlassen mussten, im Gehsteig eingelassen. Lebensbilder der betreffenden Personen sind – soweit vorhanden – auf der Homepage der Stadtgemeinde Stockerau nachzulesen. Am 10. November 2024 waren schließlich alle Stationen verlegt.

Dieses Ereignis wurde mit einer sehr stimmungsvollen und würdigen Feier in der evangelischen Kirche Stockerau begangen. Der Wiener Jüdische Chor unter der Leitung von Roman Grinberg sorgte für das künstlerische Ambiente in einem Kirchenraum, der bis 1938 eine jüdische Synagoge war und in dem seither keine jüdische Musik mehr erklungen ist – ein sehr berührender Moment!
Auch Stockeraus Bürgermeisterin Andrea Völkl freute sich über den vorläufigen Abschluss des Projektes: „Mit diesen Erinnerungssteinen sind die jüdischen Menschen, die ein so grausames Schicksal erlitten haben, für immer mit uns verbunden“.
Im zweiten Quartal 2025 wird das Projekt mit der Herausgabe einer Broschüre, die das Projekt dokumentiert und einen kurzen Abriss der Geschichte des jüdischen Lebens in Stockerau beinhalten wird, endgültig abgeschlossen werden.
Dr. Maria-Andrea Riedler
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