15/08/2024 0 Kommentare
Ich bin Mensch, weil ich dazugehöre.
Ich bin Mensch, weil ich dazugehöre.
# Geistliches Wort

Ich bin Mensch, weil ich dazugehöre.
Am Ende des vergangenen Schuljahres waren in der Lutherkirche Volksschüler und Volksschülerinnen zu Gast. Ihr Lehrer hatte mich gebeten, ihnen die Kirche zu zeigen und zu erklären. Als ich versuchte, ihnen mit einfachen Worten die belastete Geschichte unserer Kirche nahezubringen, wurde mir bewusst, dass es ihnen schwer fiel zu verstehen, warum man den Juden ihr Gotteshaus weggenommen hat und sich dabei auch noch im Recht wähnte.
Das ist auch nicht leicht zu verstehen. Woher kommt die Ablehnung von fremden Menschen und ihrer Lebensweise? Steckt dahinter vielleicht die Angst vor dem Ungewohnten, die Angst womöglich teilen zu müssen oder gar die Angst vor der Weite des Lebens und der Welt? Die digitale Revolution hat uns so viel Welt so nahe gebracht, dass wir damit gar nicht umgehen können. Es ist kein Zufall, dass der Fundamentalismus fröhliche Urstände feiert.
Menschen, denen alles zu viel wird, sind nicht an einem Meinungsaustausch mit anderen oder an der Wahrheitssuche interessiert. Sie klammern sich an andere, die ihnen sagen, wo es lang geht und warum die, die anders denken und leben, Unrecht haben. Überforderte und ängstliche Menschen können andere Standpunkte weder annehmen noch großzügig gelten lassen, weil sie die Sicherheit brauchen Recht zu haben und die Wahrheit zu kennen. Wer anders denkt, anders handelt, anders ist, wird zum Feind, der bekämpft werden muss. Solch ein Fundamentalismus findet sich nicht nur in der Politik, sondern auch in der Religion. Desillusionierte Würdenträger sehen im Fundamentalismus den letzten Stützpfeiler des Glaubens. Das Resultat ist katastrophal: an die Stelle kritischer Zugehörigkeit tritt blinde Gefolgschaft. Das ist nicht nur in den Vereinigten Staaten oder in Israel so, sondern auch bei uns in Österreich.
Die zahllosen Trennstriche, die wir zwischen uns Menschen ziehen – sei es wegen unserer ethnischen Zugehörigkeit, unserer Nationalität, unseres Geschlechts oder unserer Religion, sind für Gott vollkommen irrelevant. Gott möchte einfach nur, dass wir einander respektieren, miteinander ins Gespräch kommen, voneinander lernen und miteinander den Frieden suchen und die Schöpfung bewahren. Wenn wir andere als Feinde betrachten, laufen wir Gefahr, so zu werden, wie wir nicht werden wollen.
Nur gemeinsam – Hand in Hand und nicht als gegenseitige Feinde - können wir hoffen, den Teufelskreis von Angst, Hass und Gewalt zu durchbrechen.
Dabei spielt der Glaube eine wichtige Rolle - und die Erkenntnis , dass Gott alle seine Kinder lieb hat. Deshalb hat er uns miteinander in ein empfindliches Netzwerk gegenseitiger Abhängigkeit von unseren Mitmenschen und der übrigen Schöpfung eingebunden. Ich bin Mensch, weil ich dazugehöre.
Wenn unser Selbstbewusstsein aus dem Vertrauen kommt, dass Gott alle seine Kinder liebt, dass wir als seine Geschöpfe zusammengehören und uns selber schaden, wenn wir andere erniedrigen oder ihnen feindselig begegnen, verlieren wir die Angst vor den Fähigkeiten anderer und können das Miteinander als Chance sehen. Wir können uns Mitgefühl leisten, einladend, gastfreundlich und großzügig sein, weil Gott sich uns gegenüber einladend und großzügig zeigt: Er beschenkt uns – unabhängig davon, ob wir gut sind, Erfolg haben, ihn beeindrucken können. Gott liebt uns mit unseren belasteten Geschichten, mit Gaben und Grenzen, mit unserer Großartigkeit und unserem Scheitern. - Wann fangen wir an, Schwäche, Verletzlichkeit und Scheitern als unvermeidliche Bestandteile unseres menschlichen Lebens anzunehmen und Mitgefühl mit anderen zu entwickeln?
In unserer kapitalistischen, auf wirtschaftlichen Erfolg ausgerichteten westlichen Welt zählen scheinbar nur Sieg und Erfolg. Doch der Preis dafür ist hoch. Sind Gewinn und Erfolg den Verlust in Gestalt des ungeheuren Drucks auf Familien und Beziehungen wert? Oder den Verlust unserer Integrität? Ganz zu schweigen von den Magengeschwüren und schlaflosen Nächten. Jesus hat das verneint und hat uns ins Stammbuch geschrieben: „Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele?!“ Jesus hat uns vorgelebt, was er damit meinte: Er war ein Freund der Schwachen, Benachteiligten und Ausgegrenzten. Folgen wir ihm, dann erheben wir unsere Stimme für diese Mitmenschen, verteidigen sie in der Wohlstandsgesellschaft und arbeiten an einer Gesellschaft, in der menschliches Leben geachtet wird, in der Menschen sicher sein können vor Angst, Hunger, Unwissenheit und Krankheit. Arbeiten wir an einem Miteinander, in dem Freundlichkeit, Mitgefühl, Teilen und auch der innere und äußere Friede einen hohen Stellenwert haben.
Auch davon habe ich den Schülerinnen und Schülern erzählt: dass wir uns als Pfarrgemeinde in unserem Miteinander und in der Begegnung mit anderen Menschen um Achtsamkeit, Hilfsbereitschaft und Liebe bemühen. Zum Schluss durften alle einen Friedensmosaikstein an der Friedenssäule kleben. Dabei kam auch zur Sprache, dass wir einen neuen Namen für unsere Lutherkirche suchen und ob sie vielleicht eine Idee hätten. Ohne eine Sekunde zu zögern meldete sich ein Schüler - und rief auch gleich seine Lösung heraus: Friedenskirche!
Einen guten Start in einen friedvollen Herbst wünscht Ihnen/Euch
Ihr/Euer Pfarrer Christian Brost
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