Gottes Gerechtigkeit

Gottes Gerechtigkeit

Gottes Gerechtigkeit

# Geistliches Wort

Gottes Gerechtigkeit

Reformationsbotschaft von SI Michael Simmer, der am 31.10. 2024 in der Lutherkirche in Stockerau die Predigt hielt

Eine Theologin hat die Worte des Paulus in Röm 3,21-28 einmal als die wichtigsten Worte, die je geschrieben worden sind, Worte, die die Welt veränderten, bezeichnet. Wahrscheinlich sind es auch die kompliziertesten, die je geschrieben wurden. Auch Martin Luther hat Tage und Nächte lang über sie nachgedacht. 

Einer der zentralen ist Begriffe ist jener, über den wir alle unser ganzes Leben lang schon glauben, gut Bescheid zu wissen. Gerechtigkeit, achtmal in acht Versen.

Niemand kennt sich mit Gerechtigkeit so gut aus wie Kinder. Ein Gummibärchen weniger als die große Schwester bekommen. Das ist nicht gerecht. Zwei Minuten kürzer Netflix schauen dürfen als der Bruder. Ungerecht. Eis nicht auf den Milliliter in gleich große Kugeln aufteilen. Wo ist hier bitte Gerechtigkeit?

Wahrscheinlich könnte man sich stundenlang zu unzähligen Themen aus dem Blickwinkel der Gerechtigkeit unterhalten und bei fünf verschiedenen Personen gibt es mindestens sechs verschiedene Meinungen. Der Standort bestimmt bekanntermaßen den Standpunkt. Dabei ist noch ungeklärt: Um welche Gerechtigkeit geht es überhaupt, wenn wir von Gerechtigkeit sprechen? Verteilungsgerechtigkeit, Chancengerechtigkeit, Leistungsgerechtigkeit, Soziale Gerechtigkeit, usw.? 

Aktive Gerechtigkeit

Noch im hohen Alter erinnert sich Martin Luther an seine innere Auseinandersetzung um den Begriff der Gerechtigkeit, und zwar der Gottes Gerechtigkeit, und was das mit ihm gemacht hat. Er schreibt. „Mit außerordentlicher Leidenschaft war ich davon besessen, Paulus im Brief an die Römer kennen zu lernen. Nicht die Herzenskälte, sondern ein einziges Wort im ersten Kapitel war mir bisher dabei im Wege: »Die Gerechtigkeit Gottes wird im Evangelium offenbart.« Ich hasste nämlich dieses Wort »Gerechtigkeit Gottes«, weil ich durch den Brauch und die Gewohnheit aller Lehrer unterwiesen war, es von der aktiven Gerechtigkeit her zu verstehen, nach welcher Gott gerecht ist und die Sünder und Ungerechten straft. Ich konnte den gerechten, die Sünder strafenden Gott nicht lieben, im Gegenteil, ich hasste ihn sogar. 

Ich kann Martin Luther in seiner Ablehnung des Wortes Gerechtigkeit in Verbindung mit Gott verstehen. Gerechtigkeit kann sich manchmal beschämend anfühlen, wenn offenbar wird, dass man einen Fehler gemacht hat und jetzt Gericht gehalten wird. Man Angst hat vor der Strafe und den Konsequenzen. Oder man hat das Gefühl wirklich viel zu leisten, aber aus dem strengen Blick eines Leistungsgerechtikers: mehr hast du nicht verdient, mehr ist dein Werk, bist du, nicht wert.

Gerechtigkeit kann sich beschämend anfühlen und in die Einsamkeit führen. Gerechtigkeit mag „objektiv“ sein, aber sie kann trotzdem sehr weh tun.

Luther hat sich gefragt: was soll ich bitte tun, damit Gott wohlwollend auf mich und mein Leben blickt? Ständig läuft doch etwas schief, egal wie sehr ich mich bemühe und manchmal auch nicht, ständig verstricke ich mich in Dingen, die nicht gut sind und ich werde nicht gerecht. Wie groß muss erst vor Gott die Angst vor Beschämung und Einsamkeit sein?

Passive Gerechtigkeit

Aber dann geht Martin Luther ein Licht auf, jahrelang hat er nach dieser Erkenntnis „gedürstet“. Er schreibt weiter: Da erbarmte sich Gott meiner. Tag und Nacht war ich in tiefe Gedanken versunken, bis ich endlich den Zusammenhang der Worte beachtete: »Die Gerechtigkeit Gottes wird im Evangelium offenbart. Da fing ich an, die Gerechtigkeit so zu verstehen, dass durch das Evangelium die passive Gerechtigkeit offenbart wird, Gott rechtfertigt uns durch den Glauben, so wie es geschrieben steht: »Der Gerechte lebt aus dem Glauben.« Da fühlte ich mich wie ganz und gar neu geboren, und durch offene Tore trat ich in das Paradies selbst ein.

Aus Liebe macht Gott dich gerecht, weil du ihm wichtig bist. Nicht du machst es richtig und gut, sondern er mit dir. Nicht du erarbeitest die Gerechtigkeit, sondern Gott schenkt sie, obwohl wir so oft falsch handeln, unvollkommen, mutlos oder manchmal einfach nur bequem sind.

Gerechtigkeit Gottes hat nichts mit den Formen unserer bekannten Gerechtigkeitsbegriffe zu tun, es geht weder um Verteilung, Chancen und schon gar nicht um Leistung.

Luther übersetzt Paulus mit „Gerechtigkeit, die vor Gott gilt“. Es ist keine Eigenschaft Gottes, vor der sich Menschen fürchten muss, sondern ein Handeln Gottes an den Menschen. Diese Erkenntnis hat das damalige Welt- und Gottesbild der Menschen vollkommen aus den Angeln gehoben, die Auswirkungen auf den Ablass und die Geschichte sind ja hinlänglich bekannt. 

Plötzlich geht es nicht mehr zuerst ums Tun und selber Rechtfertigen, sondern unmittelbar um den Glauben an Jesus Christus.

Glaube als ein ergreifendes, herzliches Vertrauen in die Zusage Gottes durch ein vorbehaltloses Ja. Ohne Angst verloren zu gehen, ein unerschütterliches Ja zu Gott und – Gottes Urteil über mich. 

Glaube als das grundlegende, daseinsbestimmende Vertrauen eines Menschen auf ein Gegenüber. Eine Beziehung, ein Ausgerichtet-Sein und Ausgestreckt-Bleiben von sich weg zu einem anderen hin (Bünker). Ein Neuentdecken seiner selbst durch Gottes Gnade in Jesus Christus. Glaube als eine feste Zuversicht dessen, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht (Hebr 11).

Ich glaube, dass dieser Lebensmut, der im Glauben an den barmherzigen Gott steckt, dem nichts bewiesen werden muss, der sich an gelungener, verantwortungsvoller Lebensgestaltung freut und Schuldige nicht fallen lässt, gar nicht überschätzt werden kann. Gerade in einer Welt heute, die voller Leistungsgerechtigkeit und Ich-Bezogenheit bestimmt ist, in der Mauern errichtet und alles abgesichert und versichert wird.

Gott lädt dazu ein, die Freiheit des Lebens und die Verantwortungen, die auf einen zu kommen, wahrzunehmen und zu gestalten. Keine Angst zu haben, ein falsches Wort zu sagen oder eine unangenehme Frage zu stellen. Achtsam und gütig mit Menschen umzugehen, bei denen andere längst aufgegeben haben. Dem Druck, wie etwas zu sein hat, oder wie man selbst zu sein hat, nicht nachzugeben, sondern im Glauben, einer ganz eigenen Form der Gelassenheit, frei, mutig und verantwortlich zu leben.

Eine neue Beziehung zu Gott und zu sich selbst zu schaffen, die zu ein einem Leben im Glauben und Gelassenheit befreit, ist ein Geschenk Gottes selbst. Es liegt an der Gnade Gottes, wenn ein Mensch sich so vertrauensvoll und glaubend in seine Hände legen kann.

Der amerikanische Theologe und Literat Frederick Buechner hat über Gnade geschrieben:

Die Gnade Gottes bedeutet so etwas wie: Hier ist dein Leben. Es hätte dich niemals geben müssen, aber du bist da, weil die Feier ohne dich nicht vollständig gewesen wäre.

Hier ist die Welt. Wunderschöne und schreckliche Dinge werden geschehen. Fürchte dich nicht. Ich bin bei dir. Nichts kann uns jemals trennen. Für dich habe ich das Universum erschaffen. Ich liebe dich. Es gibt nur einen Haken: Wie jedes andere Geschenk kann auch die Gabe der Gnade nur dir gehören, wenn du die Hand ausstreckst und sie annimmst. Vielleicht ist auch die Fähigkeit, die Hand auszustrecken und sie anzunehmen, ein Geschenk."

SI Michael Simmer

Dies könnte Sie auch interessieren

0
Feed
  Stockerau | Evang. Pfarrgemeinde A.u.H.B.
 Manhartstraße 24, 2000 Stockerau
      pg.stockerau@evang.at