18/02/2025 0 Kommentare
Friedenskirche
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# Geistliches Wort

Friedenskirche
Am 17. November 2024 beschäftigte sich die Gemeindevertretung mit dem Namen unserer Kirche in Stockerau und entschied, die Kirche umzubenennen. Der Name „Lutherkirche“ wurde im Zuge des Umbaus der 1938 enteigneten Synagoge zur Kirche bewusst und in Anspielung auf die antisemitischen und antijudaistischen, ja hetzerischen Schriften Martin Luthers in seinen letzten Lebensjahren gewählt. Die Gemeindevertretung entschied in einem zweiten Schritt dann mit großer Mehrheit und ohne Gegenstimmen, die Kirche in „Friedenskirche“ umzubenennen.
Wer hätte gedacht, dass die Entscheidung uns mit der Unrechtsgeschichte der Arisierung der ehemaligen jüdischen Synagoge uns letzten Endes in die Friedensarbeit führen würde und zu einem neuen Namen für unsere Kirche ?! Dabei geht es uns bei der Namensänderung von Lutherkirche in Friedenskirche nicht darum Luther schlecht zu reden, sondern vielmehr um ein differenzierteres Lutherbild.
Uns ist natürlich bewusst, was wir als Evangelische A.B. unserem Reformator zu verdanken haben. Neben der Übersetzung der Bibel aus dem Hebräischen bzw. dem Griechischen in ein Deutsch, das Geschichte gemacht hat, ist es vor allem die befreiende Wiederentdeckung der frohen Botschaft: der Gerechte wird aus Glauben leben. Wir müssen uns die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, nicht erarbeiten - Gott schenkt sie uns, obwohl – oder vielleicht gerade weil - wir nicht immer richtig handeln und unvollkommen, mutlos und manchmal einfach nur bequem sind.
Die Gerechtigkeit Gottes hat nichts dem uns vertrauten Gerechtigkeitsbegriff zu tun, es geht weder um Verteilungsgerechtigkeit, noch um faire Chancen und schon gar nicht um Leistung. Die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, ist auch nicht etwas, das wir fürchten müssten - sie ist ein Handeln Gottes an uns.
Diese Erkenntnis hat das damalige Welt- und Gottesbild vollkommen aus den Angeln gehoben.
Plötzlich ging es nicht mehr in erster Linie ums Tun und das Sich-selber-rechtfertigen, sondern um den Glauben, das herzliches Vertrauen in die Zusage Gottes – für uns, bei uns und mit uns zu sein. So weicht die Angst Gott nicht gerecht werden zu können. Luthers Wiederentdeckung des Evangeliums und der innere Friede, der dem Glaubenden daraus erwächst, ist der Ermöglichungsgrund unserer Friedensarbeit…
Gleichzeitig wissen wir aber auch um den Anti-Judaismus des späten Luther.
Luthers Judenschriften müssen im Zusammenhang mit seinen Lebensphasen und der jeweiligen Arbeit an der Reformation gesehen werden. Je nach seiner Einschätzung von Fortschritt oder Gefährdung der evangelischen Botschaft veränderte sich Luthers Sicht der Juden.
In den frühen Jahren, als er Päpste und aufständische Bauern mit aggressiver Polemik verfolgte, verschonte er die Juden mit solchen Angriffen und hoffte sie mit dem Evangelium zu gewinnen.
Als diese Hoffnung sich nicht erfüllte, bezeichnete der enttäuschte Luther die Juden als verstockt und beschwor die Gefahr, sie könnten Christen vom Glauben abspenstig machen und ins Verderben stürzen. Luthers verbale Angriffe in seinen späten Judenschriften waren Ausdruck seiner allgemeinen Wende im Lebensgefühl und in den Zukunftserwartungen: die Widerstände auch im eigenen Lager wuchsen und die Reform von Kirche und Gesellschaft ließ sich in seiner Lebenszeit nicht mehr verwirklichen.
Zu den Gegenkräften zählten für ihn der Papst, die Schwärmer, die Türken und Juden. Aus den verirrten Brüdern, die man durch Belehrung für den evangelischen Glauben gewinnen konnte, wurden Agenten des Satans, die man niederringen musste.
In den von Weltpessimismus, Endzeitphantasien und Ängsten um sein Werk gekennzeichneten letzten Lebensjahren, verfolgte der Reformator die Juden zunehmend mit Hass, unflätigen Beschimpfungen und blutrünstigen Vernichtungsphantasien. In den späten Judenschriften zeigt sich die dunkle Kehrseite der Wortgewalt Luthers. Was er in jungen Jahren als Erfindung der Kirche verurteilt hatte, griff Luther nun selbst als reale Ereignisse auf: den Juden ist nun zuzutrauen, dass die Brunnen vergiften, Kinder stehlen und Hostien schänden! Wucher und asoziales Verhalten machen Juden nach Luthers Überzeugung für ein evangelisches Gemeinwesen untragbar, ja gefährlich.
Seine hasserfüllte Polemik gegen Juden, Muslime und irrende Christen hielt Luther bis zu seinem Lebensende aufrecht.
Daher ändern wir nach 76 Jahren den Namen unserer Kirche in Friedenskirche.
Die Umbenennung der Kirche ist ein weiterer sichtbarer Schritt auf unserem gemeindlichen Weg der Beschäftigung mit dem Frieden. Nach der Renovierung des Kircheninnenraums 2008/09, wo es um die Sichtbarmachung der jüdischen Wurzeln des Raums und des Christentums ging, nach der Auseinandersetzung mit dem Weltethos (Küng) 2014 und der daraus entstandenen Idee der Friedenssäule (2016) folgte die Benennung des öffentlichen Platzes vor der Kirche in Friedensplatz und nun das Projekt Friedenstor und die Umbenennung in Friedenskirche. Das alles geschieht im Wissen darum, dass die baulichen Adaptierungen alleine nichts bewirken, sondern nur der achtsame, offene und zugewandte Dialog, das „Im-Gespräch-Bleiben“ und das Gebet, die Meditation aus einer inneren Haltung jeder und jedes Einzelnen von uns. Denn der Frieden beginnt in uns. Man kann ihn nicht besitzen, sondern muss täglich an ihm arbeiten und für ihn eintreten.
Wir setzten unser Vertrauen darauf, dass Gott unsere Pfarrgemeinde auf dem Weg des Friedens auch in Zukunft weiterführen möge!
Kurator Gert Lauermann und Pfarrer Christian Brost
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