08/08/2024 0 Kommentare
Jitzchak Rabin
Jitzchak Rabin
# Menschen des Friedens

Jitzchak Rabin
In der Rubrik ‚Menschen des Friedens‘ möchten wir Ihnen diesmal einen Mann vorstellen, der am 1.3.2022 seinen 100. Geburtstag feiern würde, wäre er nicht im November 1995 durch den feigen Mordanschlag eines rechtsextremen, religiös-fundamentalistischen israelischen Jurastudenten ums Leben gekommen: Jitzchak Rabin - israelischer Militär, Diplomat und Politiker. 1994 erhielt er als israelischer Ministerpräsident gemeinsam mit seinem damaligen Außenminister Schimon Peres und dem langjährigen PLO-Chef und ersten Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde, Jassir Arafat, den Friedensnobelpreis.
Nach einem kurzen Abriss von Jitzchak Rabins Lebens, wird es im zweiten Teil des Artikels um die bedeutsamen Jahre von 1993 bis 1995 aus der Sicht seiner Frau Lea gehen, die sie in ihren Erinnerungen unter dem Titel ‚Ich gehe weiter auf seinem Weg‘ 1997 veröffentlicht hat (siehe unten!).
Am 1. März 1922 wurde Jitzchak als Sohn der aus Rußland stammenden Rosa Cohen und des Ukrainers Nehemiah Rubitzov in Jerusalem geboren. Nach dem Besuch der Landwirtschafts-schule kämpfte der außergewöhnliche Mann in den zionistischen Einheiten der Hagana und des Palmach gegen die britischen Mandatstruppen und im israelischen Unabhängigkeitskrieg. 1948 - im Jahr der Gründung des Staates Israel - heiratete Jitzchak die in Königsberg geborene deutsche Jüdin Lea Schlossberg. Das Paar bekam zwei Kinder – Dalia (* 1950) und Juwal (*1955).
Vom Generalstabschef bis zum Ministerpräsidenten
In der Folge machte Rabin Karriere in den israelischen Verteidigungsstreitkräften. Von 1964 bis 1968 war er deren Generalstabschef. 1967 führte er die Streitkräfte im Sechs-Tage-Krieg, der mit einem Sieg Israels endete - das in der Folge Ostjerusalem, das Westjordanland, den Gazastreifen, die Golanhöhen und den Sinai kontrollierte.
Nach dem Ende seines Militärdienstes wurde Rabin 1968 israelischer Botschafter in den USA. Zurückgekehrt nach Israel wurde er 1973 zum Abgeordneten der Arbeitspartei in der Knesset gewählt und von Ministerpräsidentin Golda Meir zum Arbeitsminister ernannt.
Ein Jahr später übernahm er bis zu seinem Rücktritt 1977 den Parteivorsitz und das Amt des Ministerpräsidenten. 1984 kehrte er als Verteidigungsminister in die Regierung zurück und
veröffentlichte 1989 ein Programm schrittweiser Verhandlungen mit den Palästinensern, das die Grundlage des Friedensprozesses wurde.
1992 löste Rabin Schimon Peres als Parteiführer ab, führte die Arbeitspartei zum Wahlsieg und trat seine zweite Amtszeit als Ministerpräsident an. Er machte Peres zum Außenminister und behielt selbst das Verteidigungsministerium. In der Folge spielte Rabin eine tragende Rolle bei den Friedensgesprächen mit den Palästinensern, sowie den arabischen Ländern und wurde zu einem der Architekten des Friedensprozesses im Nahen Osten.
Der Weg der Friedensgespräche bis zum Händedruck mit Arafat

Anfang 1993 gab Außenminister Peres einer Initiative israelischer Akademiker grünes Licht Verbindung mit PLO- Funktionären aufzunehmen, um geheime Friedensgespräche in Gang zu bringen. Mit Unterstützung des norwegischen Außenministeriums fanden diese Gespräche in Oslo statt. Eigentlich Rivalen, ergänzten sich Perez und Rabin bei ihrem Engagement für ein Friedensabkommen, bei dem es um den Abzug der israelischen Armee aus dem Westjordanland und dem Gazastreifen ging. Die Palästinenser sollten in diesem Gebieten gegen das Versprechen des Gewaltverzichts schrittweise Selbstverwaltung erhalten. In einem Zeitraum von 5 Jahren sollten Israel und die PLO auf die Lösung der noch offenen Streitfragen wie Grenzverlauf, Jerusalem und das Schicksal der palästinensischen Flüchtlinge hinarbeiten.
Umfragen in der israelischen Bevölkerung ergaben, dass die Menschen – in Erinnerung an den Golfkrieg – im Friedensprozess ein Element der Sicherheit sahen.
Amerika unterstütze den Friedensprozess. Sowohl zu Präsident Clinton als auch zu dessen Außenminister Warren Christopher hatte Jitzchak Rabin ein gutes Verhältnis.
Anfang September bot Clinton an, die Schirmherrschaft über die Unterzeichnung des Osloer Abkommens zu übernehmen, doch der Gedanke Arafat, der bis dahin ‚persona non grata‘ gewesen war, nach Washington einzuladen, bereitete ihm ebenso wie Rabin Unbehagen.
Inzwischen unterzeichnete Arafat am 10.9.1993 in Tunis eine Anerkennung des Staates Israel und Rabin in Jerusalem ein Dokument, das die PLO anerkannte.
Am Abend desselben Tages eröffnete Warren Christopher Rabin telefonisch, dass Arafat zur Unterzeichnung einer Grundsatzerklärung käme. Damit war klar, dass er auch nach Amerika fliegen müsste.
Derweilen fühlte sich bei der Teilnahmediskussion der Initiator des Osloprozesses – Schimon Peres – übergangen und dachte an Rücktritt. Die Lösung war dann jedoch unkompliziert: die israelischen, palästinensischen und amerikanischen Regierungschefs und Außenminister waren zugegen als am 13.9.1993 die Grundsatzerklärung auf dem Rasen des Weißen Hauses unterzeichnet wurde. Die Deklaration beendete die Konfrontation und den Konflikt zwischen dem Staat Israel und dem palästinensischen Volk und schuf die Grundlage für Aussöhnung und eine Friedensregelung durch einen schrittweisen Prozess, der den Palästinensern die Autonomie bescheren würde. Ein historischer Händedruck zwischen Rabin und Arafat, der wohl beiden nicht leichtgefallen sein dürfte, besiegelte den Friedensschluss.
Der Friedensnobelpreis

Bald nach diesem Ereignis erfuhr Israel eine Woge internationaler Anerkennung und Wertschätzung. Leider erlitt der Friedensprozess in der Folge immer wieder Rückschläge durch Anschläge fanatischer Menschen auf beiden Seiten. Im Mai 1994 wurde in Kairo dann Oslo – A unterzeichnet, ein Abkommen, das die Selbstverwaltung der Palästinenser in Jericho und Gaza vorsah. Rabin entwickelte zunehmend Respekt für Arafat, den er als starken und intelligenten Verhandlungspartner erlebte.
Im Juli desselben Jahres unterzeichneten Jitzchak Rabin und der jordanische König Hussein vor dem Weißen Haus eine Erklärung, die den Krieg zwischen Jordanien und Israel beendete.
Bei seiner Rede vor dem amerikanischen Kongress stellte Rabin fest: „Nur siebzig Autominuten trennen diese Städte – Jerusalem und Amman – und 46 Jahre.“
Im Oktober wurde ein umfassender Friedensvertrag an der israelisch-jordanischen Grenze bei Akaba/Eilat unterzeichnet und Rabin erfuhr, dass er Mitempfänger des Friedensnobelpreises war, der Jassir Arafat, Schimon Peres und ihm im Dezember 1994 in Oslo überreicht wurde. Rabin und Peres stifteten ihren Anteil am Preisgeld einem Fond, der dem Frieden dienen sollte.
In den nun folgenden Monaten arbeitete Rabin unermüdlich an der Umsetzung des Friedensprozesses, denn am 28.9.95 trafen sich Rabin, Arafat, König Hussein, der ägyptische Präsident Mubarak und Bill Clinton zur Unterzeichnung von Oslo-B in Washington. Damit wurde die palästinensische Autonomie auf die Araber im Westjordanland ausgedehnt.
Als letzter Redner wandte sich Jitzchak Rabin an die Zuhörer:
Werfen Sie jetzt nach einer langen Reihe offizieller, feierlicher Erklärungen einen Blick auf dieses Podium. Der König von Jordanien, der Präsident von Ägypten, Vorsitzender Arafat und wir, der Ministerpräsident und der Außenminister von Israel, auf einer Plattform. Lassen Sie diesen Anblick tief auf sich wirken. Was Sie hier vor sich sehen, war noch vor zwei oder drei Jahren unmöglich, ja fantastisch. Nur Dichter haben davon geträumt, und zu unserem großen Schmerz sind Soldaten und Zivilisten in den Tod gegangen, um diesen Augenblick möglich zu machen. Hier stehen wir vor Ihnen, Männer, die vom Schicksal und der Geschichte auf eine Friedensmission geschickt wurden: einhundert Jahre Blutvergießen für alle Zeiten zu beenden. Unser Traum ist auch Ihr Traum. König Hussein, Präsident Mubarak, Vorsitzender Arafat, all die anderen und vor allem Präsident Bill Clinton – ein Präsident, der im Dienste des Friedens arbeitet –, wir alle lieben dieselben Kinder, weinen dieselben Tränen, hassen dieselbe Feindschaft und beten um Versöhnung. Der Frieden hat keine Grenzen. Lea Rabin: Ich gehe weiter auf seinem Weg, S. 373 f.
Ja zum Frieden, Nein zur Gewalt
Innenpolitisch führte die Durchführung der Friedenspolitik zu einer zunehmenden Radikalisierung der politischen Diskussion in Israel und Rabins Regierung geriet zunehmend unter Druck. Es gelang nicht die Mitte-rechts-Positionen zu integrieren. Lea Rabin erzählt in ihrer Biografie von den Anfeindungen, die sie erlebten:
‚Da ist sie!‘ brüllten sie, als ich in die Garageneinfahrt unter unserem Miethaus einbog. Ich saß ganz allein in dem Wagen, kein Sicherheitsbeamter war bei mir. ‚Nach den nächsten Wahlen wirst du mit deinem Mann auf dem Marktplatz hängen. Mit den Füßen nach oben. Wie Mussolini und seine Mätresse‘, brüllte jemand aus der Menge. …
Einige der Demonstranten vor unserem Mietshaus verglichen uns sogar mit Nicolae und Elena Ceaușescu, dem vielleicht meist geschmähten Despotenpaar der Neuzeit …
Jitzchak und ich bekamen diese Schmähungen, diese Vergleiche mit faschistischen Unmenschen immer häufiger zu hören, je mehr der Friedensprozess an Dynamik gewann.
Auf einer Demonstration in Jerusalem einen Monat zuvor hielt Benjamin Netanjahu am Zionsplatz eine Rede, während irgendjemand ganz in seiner Nähe ein Bild, das Jitzchak in Naziuniform zeigte, vor einer laufenden Fernsehkamera hin- und herschwenkte. Vor unserer Haustür jetzt der gleiche Terror. An diesem Freitag, dem 3. November 1995, skandierten die Demonstranten auf der anderen Straßenseite ihre Diffamierungen, bis Jitzchak etwa gegen sechs Uhr abends nach Hause kam. Kurz nach seinem Eintreffen zogen sie ab. Weshalb waren die Befürworter des Friedensprozesses nie auf der Straße zu sehen? Weshalb verzichteten sie darauf, Flagge zu zeigen? Weshalb scheuten sie davor zurück, ihre Stimme ebenso vernehmlich zu erheben?...
Schon Monate zuvor waren in der Öffentlichkeit die ersten Poster aufgetaucht, die Jitzchak als Verräter und Mörder brandmarkten. Sie hingen an jeder Straßenecke, an Leitungsmasten, Pfosten und an Laternenpfählen. Fotomontagen zeigten Jitzchak mit der kufiyah, dem arabischen Kopftuch. Als ich einmal ohne Jitzchak mit dem Auto aus Jerusalem herausfuhr, bat ich den Fahrer, an einer Kreuzung anzuhalten. Wir stiegen aus und rissen diese schrecklichen Poster herunter, die Jitzchak als Verräter Israels darstellten. Lea Rabin: Ich gehe weiter auf seinem Weg, S. 12 f.
Rabin ließ sich von den Demonstranten nicht beirren. Er war absolut davon überzeugt, dass der Friedensprozess mit den Palästinensern alternativlos für die Zukunft des Landes war.
Deshalb nahm er am Abend des 4. November 1995 an einer Friedenskundgebung unter dem Motto ‚Ja zum Frieden, Nein zur Gewalt!‘ auf dem Platz der Könige in Tel Aviv teil.
Er bekam die Jubelrufe zehntausender Menschen zu hören, die ihm ihre Zustimmung signalisierten und ihn ermutigten seinen Weg des Friedens fortzusetzen.
Aber ein Nobody mit einer Neun-Millimeter-Beretta in der Hand und Hass im Kopf zerriss das Lied seines Lebens… Lea Rabin: Ich gehe weiter auf seinem Weg, S. 379
Christian Brost
Zitate Jitzchak Rabins
Ich möchte gerne jedem Einzelnen von euch danken, der heute hierhergekommen ist, um für Frieden zu demonstrieren und gegen Gewalt. Diese Regierung, der ich gemeinsam mit meinem Freund Shimon Peres das Privileg habe vorzustehen, hat sich entschieden, dem Frieden eine Chance zu geben – einem Frieden, der die meisten Probleme Israels lösen wird. …Der Weg des Friedens ist dem Weg des Krieges vorzuziehen. Ich sage euch dies als jemand, der 27 Jahre lang ein Mann des Militärs war. Jitzchak Rabin - kurz vor den tödlichen Schüssen auf ihn (zitiert von Christoph Gunkel in: einestages, Zeitgeschichte Portal von Spiegel Online am 4. November 2015)

Ich bin 27 Jahre lang Soldat gewesen. Ich habe so lange gekämpft, wie der Frieden keine Chance hatte. Jetzt aber gibt es eine Chance, eine große Chance, und wir müssen sie ergreifen, denen zuliebe, die hier sind, und auch um jener willen, die nicht gekommen sind.
Lea Rabin: Ich gehe weiter auf seinem Weg, S. 21
Heute beginnen wir hier in Washington am Weißen Haus eine neue Zeitrechnung in den Beziehungen zwischen Völkern, zwischen Eltern, die des Krieges müde sind, zwischen Kindern, die keinen Krieg mehr kennen werden,…
Wir hegen keinen Wunsch nach Rache. Wir hegen keinen Hass Ihnen gegenüber. Wir sind ebenso wie Sie Menschen – Menschen, die sich ein Haus bauen, einen Baum pflanzen und lieben wollen, die Seite an Seite mit Ihnen in Würde und Harmonie als freie Menschen leben wollen. Heute geben wir dem Frieden eine Chance und sagen erneut zu Ihnen: ‚Genug.‘
Wir wollen beten, dass ein Tag kommen wird, an dem wir uns alle von den Waffen verabschieden werden.“ Jitzchak Rabin am Tag der Friedensgrundsatzerklärung 13.9.1993 (zitiert von Lea Rabin: Ich gehe weiter auf seinem Weg, S. 379)
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