08/08/2024 0 Kommentare
Kirche – ein Ort zum Sein?!
Kirche – ein Ort zum Sein?!
# Geistliches Wort

Kirche – ein Ort zum Sein?!
Ein auf orf.at erschienenes Interview mit dem deutschen Sänger Ben Blümel blieb mir in Erinnerung. Der Künstler, Jahrgang 1981, interpretiert die Kernaussagen der Lehre Jesu da so: „Nächstenliebe. Sich selbst nicht der Erste zu sein. Für seinen Liebsten auf etwas zu verzichten.“ Und er meint: „Das ist eine gute Message.“ Dennoch ist Ben Blümel aus der (katholischen) Kirche ausgetreten. Für Ben Blümel ist die Kirche „momentan nicht der place to be“. Als Institution finde er die Kirche aber sinnvoll.
Ich denke, Ben Blümel hat damit eine Grundstimmung vieler Menschen gegenüber der Kirche wiedergegeben. Den Eindruck des Ben Blümel, dass die Kirche nicht der Ort zum Sein sei, teile ich aber überhaupt nicht. Die Kirche ist genau der Ort, wo man SEIN kann. Und das ist es doch, was vielen Menschen heute fehlt.
Ohne Unterlass wird nun seit vielen Jahren das Wort „Krise“ bemüht, sodass Menschen der jüngeren Generationen praktisch seit ihrer Geburt mit (ausgerufenen) Krisen leben. Das Gefühl, alles werde immer schlechter, ja alles – auch die Demokratie – sei schlecht, schafft eine Atmosphäre der Hoffnungslosigkeit. Die Turbulenz der sozialen Medien mit ihrem endlosen Strom von Unterhaltung, Werbung, Propaganda und auch Information schafft neue Welten, in denen es keine Krise gibt, sondern nur, was man halt hören und sehen will. Neue Möglichkeiten zur Vernetzung, zur Vereinfachung des Alltags und zum Geldverdienen entstehen in nie dagewesenem Tempo. Viele drücken ihre Unzufriedenheit und Zukunftsangst aus, für die sie häufig anderen die Schuld geben. Positive, dankbare oder stille Erfahrungen zu machen, ist die Sehnsucht vieler.
In all diesem Getöse der Welt hat unsere Evangelische Kirche viel zu bieten. Man kann bei uns sein, wie man ist. Jede und jeder wird angenommen, wie er und sie ist – egal ob reich oder arm, ob schwul oder hetero, ob alt oder jung, ob rechts oder links, ob gläubig oder suchend, ob geschieden oder nie verheiratet, ob ausgetreten oder nicht, usw. Es geht bei uns um authentische Begegnung, um Hinsehen und Zuhören, um Achtsamkeit. Manche brauchen Unterstützung, manche geben Unterstützung. Gott im anderen zu sehen und so zu seinem eigenen göttlichen Kern zu finden, das ist es, was ich immer wieder in unserer Pfarrgemeinde erlebe. Das Wissen darum, getragen zu sein in der Welt und im Leben mit allen Höhen und Tiefen. Gottesdienstbesuch als Üben der Beziehung zu Gott, als spirituelle Muskelreserve für schwere Zeiten. Friedensgebete gegen das Gefühl der Hilflosigkeit und in der Hoffnung auf die Wirkung des Gebets und dass der Frieden in jeder und jedem von uns beginnen und wachsen möge. Stille halbe Stunden im Advent und in der Passionszeit, um das Ziel dieser vom Konsum und von Urlauben beherrschten Zeiten im Blick zu behalten, nämlich Weihnachten bzw. Ostern. Meditationstreffen, um in der Stille Gott zu finden. Gemeinsames Essen und Trinken, Möglichkeiten zum Gespräch über Gott und die Welt oder ganz Banales bieten z.B. Kirchenkaffee, Predigtnachgespräch, Friedensdialog oder Café Impuls.
Es geht dabei nicht um diese Veranstaltungen. Es geht immer um die Begegnungen mit den Menschen und mit Gott, die so in unseren evangelischen Kirchen möglich werden.
Abschließend ein Zitat vom großen Friedensmeister Thích Nhất Hạnh:
Trinke deinen Tee langsam und andächtig, als wäre er die Achse, um die sich die Welt dreht - langsam, gleichmäßig, ohne in die Zukunft zu hetzen.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen achtsamen, strahlenden Sommer, voller guter Begegnungen, die Sie das große Ganze hinter all dem Lärm des Alltags spüren lassen. Und voller Frieden.
Ihr Kurator Gert Lauermann
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