08/08/2024 0 Kommentare
Ein Leben für den Frieden
Ein Leben für den Frieden
# Menschen des Friedens

Ein Leben für den Frieden
Wenn wir heute Nachrichten lesen oder hören, erfahren wir täglich von neuen Gräueltaten und Kriegsgeschehnissen in Israel und Palästina. Aber es gibt Stimmen, die sich für den Frieden stark machen. Mit diesem Artikel der Rubrik „Menschen des Friedens“ möchten wir diesen Stimmen Raum geben.
Gerade in der momentan hitzigen und verfahrenen Situation im Nahen Osten scheint es nur radikale Statements zu geben. Dass es auch friedensfördernde Meinungen gibt, die verbreitet werden, macht Hoffnung. Und sie leuchten. Eines dieser Lichter habe ich bei meiner Recherche im Internet entdeckt. Es ist eine Basisbewegung, die von Frauen gegründet wurde.
Women wage Peace (Frauen wagen den Frieden) -
ist die größte Basisbewegung für Frieden im Nahen Osten und bemüht sich auch im Internet um Friedensvermittlung.
Die WWP-Theorie des Wandels beleuchtet den israelisch-palästinensischen Konflikt und seine Lösung aus einer geschlechtsspezifischen Perspektive. Mit den Worten der ehemaligen US-Botschafterin Swanee Hunt: „Frauen haben tendenziell eine ganzheitlichere Sicht auf Sicherheit, die nicht nur politische Souveränität und militärische Stärke, sondern auch wirtschaftliche Sicherheit, Bildung und persönliche Sicherheit umfasst.“ Die Bewegung ist überparteilich und unterstützt keine bestimmte Lösung des Konflikts. Stattdessen befähigt es Frauen aus unterschiedlichen Gemeinschaften, über Gräben hinweg Vertrauen aufzubauen, was wiederum zu einer einheitlichen Forderung nach diplomatischen Verhandlungen mit vollständiger Vertretung von Frauen führt, um den israelisch-palästinensischen Konflikt zu beenden.
Folgende Botschaft zu den aktuellen Geschehnissen im Nahen Osten findet man auf der Website von Women wage Peace:
Zuerst betrauern wir die brutalen Morde, welche die Hamas in einem unbeschreiblichen und unverzeihlichen Massaker an mehr als 1.300 Menschen, Zivilisten, Babys, Kinder, Frauen, Männer, ältere Menschen, Soldatinnen und Soldaten, an Sicherheitskräften, Rettungskräften, darunter auch arabische Zivilisten und Soldaten, begangen hat. Wir wünschen allen, die verwundet wurden, dass ihre Körper und ihre Seelen wieder vollständig genesen. Wir teilen die tiefe Trauer unserer Mitfrauen von „Women Wage Peace“, die Familienangehörige verloren haben. Wir bieten unseren Mitfrauen aus dem Gazastreifen, die das furchtbare Inferno am vergangenen Samstag überlebt haben, Hilfe an. Und wir sind zutiefst um die Sicherheit und das Schicksal derer besorgt, die vermisst werden, entführt, verschleppt wurden. …
Trotz des Zorns und des Schmerzes angesichts der kriminellen und unverzeihlichen Handlungen der Hamas, wozu auch das ununterbrochene Bombardement von Städten überall in Israel gehört, dürfen wir unsere menschliche Würde nicht verlieren. Selbst in dieser äußerst schwierigen Situation ist es unsere Pflicht als Mütter, als Frauen, als Menschen und als ganze Nation, nicht unsere menschlichen Grundwerte zu verraten.
Wir hören nur noch Worte der Rache „alle Zurückhaltung wird aufgegeben.“ „.. wir werden Gaza vernichten.“ „...wir werden brutal sein…“ Aber man kann ein Unrecht nicht durch ein anderes Unrecht beseitigen. Wir betrauern den Tod unschuldiger Palästinenser, darunter hunderte von Kindern, die in diesem verfluchten Krieg getötet wurden Die Situation in Gaza verschlimmert sich stetig. Dieser Krieg beweist – mehr als je zuvor – dass die Idee „den Konflikt unter Kontrolle“ zu halten gescheitert ist. Der Gedanke, die Lösung des Konflikts könnte unendlich aufgeschoben werden, hat sich als fundamental falsch erwiesen. …
Wir müssen jeden Stein umdrehen, um eine politische Lösung zu erreichen. Das ist unsere Pflicht für die Zukunft unserer Kinder. Das ist unsere Pflicht für die Kinder in Israel und in Palästina. Sie verdienen eine Zukunft in Sicherheit und Freiheit, keine Zukunft in Tod, Krieg und Zerstörung.
Trotz der Komplexität der Situation haben wir und die Palästinenser keine Wahl als nach einer Lösung des Konflikts zu suchen. Das palästinensische Volk wird nicht verschwinden, und auch wir werden es nicht. Mehr Krieg, Bomben, Attentate, Verhaftungen und ein ewiger Kreislauf des Blutvergießens werden uns und unseren Kindern niemals die Möglichkeit geben, hier wie normale Menschen zu leben. Alle Konflikte auf dieser Welt wurden durch Friedensverträge beendet. Hamas handelt, um die Chance auf Frieden zu zerstören. Hamas hat es bereits geschafft, die Verhandlungen mit Saudi-Arabien zu stoppen. Wir wissen, dass diese Worte naiv und unrealistisch klingen, aber das ist die Wahrheit; und wir müssen sie erkennen. Jede Mutter, ob Jüdin oder Araberin bringt ihre Kinder zur Welt, um sie aufwachsen und gedeihen zu sehen – nicht um sie zu beerdigen.
Deshalb strecken wir, auch heute, mitten in dem Schmerz und dem verlorenen Frieden unsere Hände in Frieden zu den Müttern in Gaza und auf der West Bank aus. …
Mag das Gedächtnis aller Opfer gesegnet sein.
„Ein Leben für den Frieden“
ist der Titel eines Buches von der palästinensischen Christin, Sumaya Farhat-Naser – Friedensaktivistin und Trägerin zahlreicher Preise (wie z.B. Bruno Kreisky Preis für Verdienste um die Menschenrechte 1995, Versöhnungspreis Mount Zion Award in Jerusalem 1997, Augsburger Friedenspreis 2000 und AMOS-Preis für Zivilcourage in Religion, Kirchen und Gesellschaft 2011).
Im Oktober hatte ich das Glück, diese Frau persönlich in Wien zu erleben. Sie wurde zur Vorbereitung des Frauenweltgebetstages im März 2024 (die Liturgie kommt aus Palästina) zu einer Lesereise durch Österreich geladen. Dass ihr Besuch eine derartige Aktualität bekommen würde, konnte niemand vorher wissen. Geboren 1948 in Birseit, nördlich von Jerusalem, hat sie in Hamburg Biologie studiert und ist in ihre Heimat im Westjordanland zurückgekehrt. Sie lehrte an der palästinensischen Universität Birseit Botanik und Ökologie. Das Leben als Palästinenserin war und ist wohl immer noch eine extreme Herausforderung. Schikanen und Erniedrigungen gehören für Palästinenser zur Tagesordnung. Sogar das Sprechen mit dem „Feind“ war bis 1994 verboten. In den 80er Jahren begannen jüdisch-arabische Gespräche auf akademischen Niveau. Nach der ersten Intifada (1987 – 1993), wo es in Tabgha am See Genezareth bei den Benediktinern der Dormitioabtei eine Lazarett gegeben hat, begann Sumaya mit der Friedensarbeit. Es ging um Dialogarbeit, alles sagen können UND zuhören, wenn der/die andere spricht.
Sumayas Friedensarbeit basiert auf folgenden Grundsätzen (aus einem Interview für die Zeitschrift „weltbewegt“):
Man kann lernen, gewaltfrei zu denken, zu sprechen, zu fühlen und zu handeln.
Das kann man nur, wenn man sich die Prinzipien der Gewaltfreiheit aneignet und sie Teil des eigenen Charakters werden. Alle Menschen haben gleiche Rechte. Jeder und jede wird geboren und ist anders, manchmal vielleicht eigenartig. Aber gerade darin liegt die Weisheit der Schöpfung. Sonst wäre es langweilig. Sobald man denkt: der oder die andere ist komisch, lassen sich die Gedanken in eine neue Richtung lenken: „Aha, die Person ist anders, vielleicht bin ich auch anders.“ Es geht darum, nicht gleich negative Gefühle aufkommen zu lassen. Man kann lernen, den Gedanken zu verbinden mit: „Na ja, ist doch nicht schlimm, ist doch schön“.
Der andere Punkt: Wir sind geboren mit einem wunderbaren Kern. Es liegt an uns selbst, das Wunderbare zum Leben zu erwecken. Dafür muss man sich auch selbst in den Blick nehmen, man muss lernen, sich selbst zu finden, zu verwalten, zu korrigieren. Wenn ich daran glaube, dass ich mit einem guten Kern geboren bin, sage ich mir: Auch wenn ich Fehler mache, kann ich von Neuem beginnen. Ich kann lernen, dass ich mich nicht ständig rechtfertigen muss, sondern kann lernen, mir zu vergeben, damit ich weiterkomme …
Aus einem Vortrag Sumayas ,»Die Kunst des Friedenschließens“, den wir hier in Auszügen wiedergeben, wird klar, was notwendig ist, aber auch, was jede und jeder Einzelne in seinem eigenen Umfeld zum friedlichen Miteinander beitragen kann:
Je länger der Konflikt andauert, desto komplexer und schwieriger wird die Suche nach Lösungen. Ein Friedensschluss rückt immer weiter in die Ferne. Das Schweigen gegenüber dem Unrecht und der fehlende Mut, Dinge beim Namen zu nennen, aus Sorge um alle Beteiligten und mit dem Ziel, Einsichtigkeit bei der Friedensfindung zu fördern, versperrt die Wahrnehmung der eigenen Verantwortung. Es ist einfacher, den Preis des Schweigens zu bezahlen, als sich für den Frieden einzusetzen. Die Folge ist, dass sich der Unfriede durchsetzt und man auch im eigenen Haus nicht mehr sicher ist.
Der Frieden im Nahen Osten konnte noch nicht erreicht werden, weil immer noch Besatzung herrscht und die unterschriebenen Friedensverträge nicht umgesetzt wurden. Menschen- und Völkerrechtskonventionen wie auch die UN-Resolutionen wurden nicht respektiert. Das Fehlen eines Sanktionsapparates und das Schweigen der Weltgemeinschaft begünstigten die Eskalation und die Verbreitung radikaler und fundamentalistischer Ideologien in allen Gesellschaften.
Frieden zu schließen bedeutet, sich von der Ethik und Moral der Menschlichkeit, festgelegt in unseren Religionen und Kulturen, leiten zu lassen und die Rechte, die man für sich selbst beansprucht, auch der anderen Seite zu gewähren.
Frieden zu schließen bedeutet, den Mut aufzubringen, sich gegenseitig einzugestehen, dass beide Seiten verantwortlich sind für das Leiden und für das Irreführen beider Völker.
Frieden zu schließen bedeutet, das Unrecht und die Schuld einzugestehen, die jede Seite der anderen zugefügt hat, und dafür die Verantwortung zu übernehmen.
Frieden zu schließen bedeutet, willens zu sein, den Frieden als höchstes Ziel anzunehmen, anstatt Landnahme, militärischen Ruhm und Herrschaft über die anderen, und eine Lösung zu finden, die die Menschen der Region vor religiösen Kriegen und Vernichtungsideologien rettet und die Versöhnung ermöglicht.
Frieden zu schließen bedeutet, die anderen in die eigenen politischen Ziele einzuschließen, anstatt sie auszuschließen. Freiheit, Unabhängigkeit, Sicherheit, und Frieden können nur erreicht werden, wenn alle Seiten sie gleichermaßen genießen dürfen. Beide Völker haben das gleiche Recht auf Leben Und Überleben in Palästina/Israel und in der Region. Ein Staat Palästina/Israel wäre ideal, ist aber heute für beide Völker nicht akzeptierbar. Daher wären zwei Staaten für die zwei Völker realistisch, wobei die Staaten frei, unabhängig und lebensfähig sein müssen.
Frieden zu schließen bedeutet, den Frieden zu wollen. Konkret hieße das:
Erstens: Einigung über den territorialen Umfang, den jeder Staat haben soll.
Zweitens: Einstellung aller Gewalthandlungen auf beiden Seiten.
Drittens: Amnestie ist die Grundlage für einen Neubeginn. Der Konflikt hat seine Wurzeln und Gründe; er dauert seit Jahrzehnten. Es wäre falsch, danach zu fragen, wer begonnen hat und wer jetzt die Eskalation bewirkt, denn es ist ein Kreislauf. Der Konflikt muss transparent gemacht werden, und man muss dabei auch Ängste und Leiden der anderen erkennen, respektieren, aussprechen und das Wissen darüber der anderen Seite übermitteln können. So wachsen Verständnis, die Bereitschaft zum Zuhören und das Einfühlungsvermögen.
Frieden zu schließen bedeutet, nicht von „uns“ und „ihnen“ zu sprechen und „sie“ als das Problem zu sehen, sondern den Konflikt als das Problem zu verstehen und „sie“ und „uns“ als die Leidenden. Wenn wir von unserem Leiden sprechen, muss ihr Leiden präsent sein, und wenn wir ihre Fehler benennen, so müssen wir unsere Fehler erst recht aufdecken.
Frieden zu schließen bedeutet, Antennen für Sensibilität zu entwickeln, positive Gedanken zu erspüren und sich mit Empathie zu rüsten, die ein tiefes Verstehen der Gedankengänge und der Gefühle der anderen ermöglicht, gerade wenn Negatives das Gespräch zu trüben scheint. Empathie beleuchtet das Unsichtbare und öffnet die Augen und Herzen beider.
Frieden zu schließen bedeutet, die Situation kreativ so zu verändern, dass mehrere Optionen für einen friedlichen Ausgang möglich werden.
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